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Klimawandel: Grundlagen
Gesellschaftliche Kippmechanismen zur Klimastabilisierung

Um die Erwärmung der Erde auf deutlich unter 2°C zu begrenzen, müssen die Gesellschaften weltweit bis spätestens 2050 ihre Treibhausgasemissionen auf Null reduziert haben.

Dazu ist eine tiefgreifende globale Transformation der heutigen Energie- und Landnutzungssysteme notwendig. Klimaneutralität bis Mitte des Jahrhunderts bedeutet, dass die Treibhausgasemissionen ab heute alle zehn Jahre halbiert werden müssen.

Ein interdisziplinäres Forscherteam hat jetzt geeignete gesellschaftliche "Kippmechanismen" untersucht, welche in der Lage sein könnten, die hierfür notwendigen schnellen, dabei aber anschlussfähigen Veränderungen hin zu einer Klimastabilisierung auszulösen. In der US-Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) hat das Forscherteam insgesamt sechs sozio-ökonomische Kippelemente und damit verbundene gesellschaftliche Interventionen ausgemacht, durch welche ein Übergang zu einer tiefgreifenden globalen Dekarbonisierung mit der notwendigen Geschwindigkeit auf den Weg gebracht werden könnte.

Vom Energiesektor über die Finanzmärkte bis hin zu unseren Städten - wir haben gesellschaftliche Kippelemente und konkrete Kippinterventionen ausfindig gemacht, die eine schnelle Verbreitung von geeigneten Technologien, Verhaltensmustern und sozialen Normen auslösen könnten", erklärt Leitautorin Ilona M. Otto, Soziologin am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Auf der Grundlage einer Expertenbefragung, eines Expertenworkshops und einer fundierten Literaturrecherche umfassen die untersuchten gesellschaftlichen Kippinterventionen die Abschaffung von Subventionen für fossile Energien bei gleichzeitiger Förderung der dezentralen Energieerzeugung; den Umbau zu treibhausgasneutralen Städten; ein Ende von Investments in Vermögenswerten, die mit der Nutzung fossiler Energien verbunden sind; die klare Benennung der moralischen Dimensionen der fossilen Energienutzung; deutlich verbesserte Klimabildung mit entsprechendem gesellschaftlichem Engagement; sowie eine durchweg transparente Offenlegung von Treibhausgasemissionen.

"Obwohl dies weder eine umfassende noch eine vollständige Liste ist, könnten diese Faktoren dazu beitragen, schnelle sozio-ökonomische Veränderungen anzustossen und Narrative für eine dekarbonisierte Zukunft im Jahr 2050 zu entwickeln", fügt Otto hinzu.

Divestment und klimaneutrale Stromerzeugung sind die wichtigsten kurzfristigen Treiber

Das stärkste kurzfristige Transformationspotenzial sehen die Forscherinnen und Forscher in Investitionsveränderungen an den Finanzmärkten weg von fossilen Energieträgern sowie in Systemen zur Energieerzeugung und -speicherung, wobei der Schwerpunkt auf der Nutzung bereits vorhandener treibhausgasneutraler Technologien liegen sollte, so die Wissenschaftler. Wenn Finanzströme weg von Unternehmen der fossilen Industrien und hin zu nachhaltigen Investitionen umgelenkt werden, könnte ein Kipppunkt an den Finanzmärkten erreicht werden - etwa wenn Nationalbanken und Versicherungen vor den globalen Folgen von sogenannten "gestrandeten Vermögenswerten" warnen. "Dies könnte einen positiven Dominoeffekt auslösen", sagt der zweite Leitautor und Physiker Jonathan Donges der PIK-Arbeitsgruppe "FutureLab Earth Resilience in the Anthropocene".

Ebenso könnte der Einsatz und die Anwendung bestehender treibhausgasneutraler Technologien in der Energieerzeugung und Energieeffizienz helfen, die Gesellschaft in Richtung Nachhaltigkeit zu bewegen. "Der entscheidende Faktor für diesen Anpassungsprozess ist der finanzielle Ertrag.

Unsere Expertengruppe denkt, dass der kritische Moment des sozialen Kippens erreicht würde, wenn die klimaneutrale Stromerzeugung höhere finanzielle Erträge erzielt als die Stromerzeugung durch fossile Energieträger", so Donges.

Klimaschutz als gesellschaftlich anerkannte Norm stabilisiert den Weg zur Dekarbonisierung

Diese relativ kurzfristigen Interventionen, wie z.B. das Divestment, müssen durch einen gesellschaftlichen Normen- und Wertewandel dauerhaft gestützt und begleitet werden. "Das Bewusstsein für die globale Erwärmung ist hoch, aber die gesellschaftlichen Normen zur grundlegenden Veränderung des Verhaltens sind es nicht. Diese Diskrepanz kann die Wissenschaft alleine nicht beheben", sagt Ko-Autor Johan Rockström, Direktor des PIK. "Es sollte den Menschen einfach gemacht werden, einen klimaneutralen Lebensstil zu führen, um schnell auf dem Weg voranzukommen. Aber längerfristig ist wohl ein neues soziales Gleichgewicht erforderlich, in dem der Klimaschutz als soziale Norm anerkannt wird, sonst könnten Erschütterungen auf den Finanzmärkten oder Wirtschaftskrisen den Fortschritt der Dekarbonisierung wieder zunichtemachen."

"Nichtlinearität kann man nur mit Nichtlinearität schlagen", sagt Hans-Joachim Schellnhuber, ehemaliger Direktor des PIK und ebenfalls Ko-Autor der Studie. "Wir können die bereits angestossenen dynamischen Kippvorgänge im Erdsystem, wie das Abschmelzen des grönländischen Eisschildes, nur dann eindämmen, wenn wir gesellschaftliche Kippvorgänge anstossen. Dabei geht es darum, eine sich selbst verstärkende Dynamik in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft auszulösen, mit der sich eine neue klimafreundliche und nachhaltige Haltung verbreitet."

"Ein wichtiges aktuelles Beispiel für das Potenzial gesellschaftlicher Dynamik ist die 'Fridays for Future'-Bewegung, welche Irritationen in den persönlichen Weltbildern der Menschen ausgelöst hat und so zu einem Wandel von Werten und Normen beitragen kann. Während sich verändert, wie wir über den Klimawandel denken und wie wir handeln, eröffnen sich auch politische Pfade zur Dekarbonisierung", sagt Ko-Autor Wolfgang Lucht, vom PIK. "Eine solche Dynamik kann zu Veränderungen in Politik und Gesetzgebung, zur notwendigen klimafreundlichen Transformation der Infrastruktur und zu einer Neuorientierung der individuellen Konsumentscheidungen und Lebensstile führen."

Methode:

Das primäre Datenerhebungsinstrument war eine Online-Expertenbefragung, die an mehr als 1'000 internationale Experten verschickt oder über Mailinglisten von Organisationen im Bereich Klimawandel und Nachhaltigkeit verteilt wurde. Die Online-Befragung wurde von 133 Experten durchgeführt. Insgesamt schlugen sie 207 soziale Innovationen und Kandidaten für Kippelemente vor. Eine Gruppe von 17 Experten nahm an einem Workshop teil, der sich mit der Auswahl der Spitzenkandidaten für soziale Kippelemente, die für die Dekarbonisierung bis 2050 entscheidend sind, und mit der Bewertung der Wechselwirkungen zwischen den sozialen Kippelementen beschäftigte. Schliesslich führten die Ko-Autoren eine umfassende Literaturrecherche zu den auf dem Workshop ausgewählten Faktoren für soziale Kippelemente durch.

Originalarbeit:

Ilona M. Otto, Jonathan F. Donges, Roger Cremades, Avit Bhowmik, Wolfgang Lucht,Johan Rockström, Franziska Allerberger, Sylvanus Doe, Richard Hewitt, Alex Lenferna,Mark McCaffrey, Nerea Moran, Detlef P. van Vuuren, und Hans Joachim Schellnhuber: Social tipping dynamics for stabilizing Earth's climate by 2050. PNAS [DOI: 10.1073/pnas.1900577117]

Weblink zum Artikel nach Veröffentlichung:

https://www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.1900577117

Quelle: Text Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, 21. Januar 2020

Klimaschutz Sauberer Strom ist nicht genug
Klima
Das weltweite Klimasystem besteht aus zahlreichen "Puzzleteilen", welche teilweise untereinander vernetzt sind und und zahlreiche Kreisläufe bilden. Die Faktoren des Klimasystems werden immer mehr auch durch menschliche Aktivitäten beeinflusst. Ein Kipp-Element ist ein Klimafaktor, welcher durch äussere (menschliche oder natürliche) Einflüsse seinen bisherigen Zustand möglicherweise abrupt ändern kann. Eine einzelne Änderung einer Komponente im globalen Klimasystem kann andere Klimafaktoren ebenfalls dominoartig zu einer Zustandsänderung veranlassen (Kaskadeneffekt), welche das Leben auf unserem Planeten in unvorhersehbarer Weise ändern kann.
Quelle: Text RAOnline

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