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Forellen Wenn die Evolution bei Fischen durch den Magen geht 2017
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Fische in der Schweiz
Wenn die Evolution bei Fischen durch den Magen geht

In stabilen Lebensräumen teilen Forellen das Beutespektrum untereinander auf und werden Spezialisten. In Wildbächen mit instabiler Versorgungslage werden sie Generalisten. Stichlinge aus unterschiedlichen Evolutionslinien verändern ihre Umwelt durch ihr Fressverhalten. Das bekommt den Nachkommen schlecht, ausser wenn es Hybride sind. Solche Wechselspiele zwischen Arten und Umwelt zu verstehen, ist für einen griffigen Schutz der Biodiversität wichtig.

Forellenbestände sind in vielen Schweizer Bächen unter Druck. Sie leiden unter Bachverbauungen und anderen Umwelteingriffen. Wie sich verschiedene Stressfaktoren menschlichen und natürlichen Ursprungs auswirken, untersucht das Forschungsteam von Jakob Brodersen an der Eawag bei Forellen in unterschiedlichen Lebensräumen und Lebensphasen. «Schon gut erforscht ist die Wanderung zwischen den Bächen, in denen die Forellen aus dem Ei schlüpfen und aufwachsen, und den Seen, in denen manche dieser Bachforellen zu grossen Seeforellen werden», sagt er. Dieses Wissen hat sich im Gewässerschutzgesetz niedergeschlagen, das die Beseitigung der Wanderhindernisse vorgibt. «Nur wenig wissen wir hingegen darüber, wie Wanderung und Anpassung an wechselnde Lebensräume zusammenspielen», so Brodersen. Am Vierwaldstättersee und seinen Zuflüssen studiert der Fischökologe mit seinen Mitarbeitenden deshalb, wie sich Forellenpopulationen an ihre unterschiedlichen Ursprungsbäche anpassen.

Generalist oder Spezialist - je nach Lebensraum

Der Doktorand Philip Dermond hat untersucht, ob ein stabiles Futterangebot den Forellen erlaubt, das Nahrungsspektrum untereinander aufzuteilen. Für die spezialisierten Tiere hätte das den Vorteil, dass sie effizienter jagen könnten. In einer instabilen Umgebung mit rasch wechselndem Futterangebot hingegen, so die Vermutung, müssen die Tiere essen, was gerade da ist.

Dermond suchte insgesamt zehn Bäche aus. Fünf speisen sich aus dem Grundwasser und weisen deshalb relativ stabile Pegelstände auf. Die fünf anderen sind Wildbäche mit stark schwankenden Abflussmengen. Bei Hochwasser werden dort immer wieder Insektenlarven und andere wichtige Futtertiere der Forellen weggeschwemmt. Ob sich diese Unterschiede auf die Ernährung auswirken, untersuchte der Forscher an 20 Forellen aus jedem Bach. Dazu verglich er detaillierte «Momentaufnahmen» des Mageninhalts mit der Analyse von Stickstoff- und Kohlenstoffisotopen im Muskelgewebe, die Rückschlüsse auf langfristige Ernährungsgewohnheiten erlauben.

Das Resultat fiel deutlich aus. Zwar nutzten alle Forellenbestände ein vergleichbares Nahrungsangebot. Aber während in den Bächen mit starken Pegelschwankungen alle Tiere das gesamte Angebot nutzten, beschränkten sich diejenigen in den stabilen Bächen jeweils nur auf etwa die Hälfte des Spektrums. Zudem unterschied sich die Auswahl von Fisch zu Fisch: Die Individuen hatten sich in ihrer Ernährung stark spezialisiert. «Die Resultate liefern gute Argumente für die Annahme, dass es sich bei der Entwicklung von Generalisten und Spezialisten tatsächlich um Anpassungen an die ökologischen Verhältnisse handelt», sagt Brodersen. «Es braucht aber weitere Untersuchungen.» Unter anderem nimmt sein Team 150 Bäche in der ganzen Schweiz unter die Lupe. Die Wissenschaftler prüfen zudem, wie Bachforellen auf Uferverbauungen und andere vom Menschen verursachte Stressfaktoren reagieren - und damit auch, welche Schutzmassnahmen den Forellenbeständen am besten dienen.

Künstliche Lebensräume für invasive Fische

Während viele Fische in der Schweiz zu bedrohten Arten gehören, fühlen sich invasive Stichlinge im Bodensee nur allzu wohl. Die anspruchslosen kleinen Fische mit den markanten Stacheln auf dem Rücken wurden im späten 19. Jahrhundert durch den Menschen aus Osteuropa in den Bodensee und über die Rhone in den Genfersee verschleppt. Im Bodensee haben sie sich in letzter Zeit so massenhaft vermehrt, dass sie die Netzfischerei behindern. Daneben leben mittlerweile auch Hybride der Genfersee- und Bodenseelinien in vielen Gewässern zwischen den beiden Seen. Ein Eawag-Forscherteam um den Gewässerökologen Blake Matthews und den Evolutionsbiologen Ole Seehausen untersucht, wie sich Stichlinge und Umwelt gegenseitig beeinflussen und wie ökologische Veränderungen die massenhafte Vermehrung von Stichlingen begünstigen oder hemmen.

für ihre Studie führte die Postdoktorandin Rebecca Best ein kontrolliertes Experiment durch. Dafür verwendete sie 50 identische Mesokosmen: Wannen mit je 1000 Litern Wasser, die alle mit gleichviel Sand, Steinen, Algen, Zooplankton, Muscheln, Schnecken und Insektenlarven eingerichtet wurden . In einem ersten Schritt besetzte die Forscherin diese normierten Lebensräume unterschiedlich dicht mit Stichlingen aus Boden- oder Genfersee. Nach fünf Wochen fischte sie die Mesokosmen aus und dokumentierte die Veränderungen an Algen und wirbellosen Tieren. Dann besetzte sie jeden Mesokosmos für weitere sechs Wochen mit 99 jungen Stichlingen, je 33 mit Bodensee-, Genfersee- und gemischter Abstammung.

Hybride meistern Veränderungen besser

Die Resultate zeigten klar, dass die erwachsenen Stichlinge ihren Lebensraum in einer Weise veränderten, die Überleben und Fitness der Jungfische beeinflusste. Je nach Erbanlagen konnten die Jungfische unterschiedlich gut mit den Veränderungen umgehen. Am besten kamen die Hybride mit den neuen Bedingungen zurecht. Ihr Vorteil gegenüber den reinen Bodensee- und Genferseestichlingen war dann besonders gross, wenn das Futter knapp war. Nicht ein bestimmtes Merkmal war also die beste Überlebenshilfe, sondern dass sich die Hybride von der vorhergehenden Generation unterschieden und ein breites Spektrum verschiedener Gene mit entsprechend vielen potenziell nützlichen Eigenschaften besassen.

Am härtesten traf die Selektion die Jungfische, die das ökologische Erbe der Genferseestichlinge antraten. Im Gegensatz zu den Bodenseestichlingen hatten die Genferseestichlinge vor allem das optimale Nahrungsspektrum ihrer Mesokosmen stark reduziert. Darunter litten alle Jungfische, am stärksten aber diejenigen, die aus derselben Linie stammten. Zwar fanden auch die jungen Genferseestichlinge noch alternatives Futter. Doch weil sie nicht die optimale Grösse hatten, brauchten die Fischchen wahrscheinlich länger, solche Happen zu fangen und zu schlucken, und liefen eher Gefahr, dass ein Konkurrent schneller zuschnappte.

Invasion dank Hybridisierung?

Was aber bedeuten diese Resultate für die Erforschung der Stichlinge in den Schweizer Seen? «Wenn wir die Vorgänge in der Natur verstehen wollen, müssen wir schauen, wie sich Fische und Umwelt laufend gegenseitig beeinflussen - und wann die entscheidenden Veränderungen passieren», sagt Best. «Experimente wie unseres ermöglichen es, einzelne Faktoren dieser komplexen Vorgänge getrennt zu betrachten und klare Hypothesen zu formulieren und zu testen.» So werden die Forschenden auch untersuchen, ob sich die Stichlinge dank der Hybridisierung rasch an die neuen Lebensräume im Bodensee angepasst haben.

Originalarbeiten:

Dermond P. et al. (2017): Environmental stability increases individual specialisation across populations of an aquatic top predator. Oikos online
https://dx.doi.org/10.1111/oik.04578

Best R. et al. (2017): Transgenerational selection driven by divergent ecological impacts of hybridizing lineages. Nature Ecology &Evolution online
https://dx.doi.org/10.1038/s41559-017-0308-2

Quelle: Text Sibylle Hunziker, Eawag, aquaitc research ,Zoo Zürich, Oktober 2017
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