Zum ersten Mal wird in der Schweiz ein kommerzielles Kernkraftwerk stillgelegt In der Schweiz wurden bisher das Versuchsatomkraftwerk Lucens im Kanton Waadt sowie Forschungsreaktoren am Paul Scherrer Institut und an der Universität Genf stillgelegt. Derzeit läuft auch das Stilllegungsverfahren des Forschungsreaktors an der Universität Basel. Das Kernkraftwerk Mühleberg wird der erste Schweizer Leistungsreaktor sein, der stillgelegt und rückgebaut wird. Weltweit wurden bisher über 115 kommerzielle Kernkraftwerke endgültig ausser Betrieb genommen und ein Teil davon bereits stillgelegt1. Das Kernkraftwerk Mühleberg (KKM) ist die grösste Produktionsanlage der BKW. Es befindet sich rund 14 Kilometer westlich der Stadtmitte Berns auf dem Gemeindegebiet von Mühleberg (Kanton Bern). Es handelt sich um einen Siedewasserreaktor von General Electric mit einer Nettoleistung von 373 MWe, der seit 1972 in Betrieb ist. Das KKM verfügt wie alle Schweizer Kernkraftwerke über eine unbefristete Betriebsbewilligung. Das KKM produziert jährlich rund 3 Milliarden Kilowattstunden Strom. Das entspricht rund 5% des gesamten Schweizer Strombedarfs. Am 20. Dezember 2019 will die BKW den Leistungsbetrieb des KKM endgültig einstellen. Im Oktober 2013 entschied die BKW, die Stromproduktion im KKM Ende 2019 definitiv einzustellen und das Werk anschliessend stillzulegen. Am 18. Dezember 2015 reichte die BKW ihr Stilllegungsprojekt beim Bundesamt für Energie (BFE) ein. Sie ersucht darin um Anordnung der Stilllegungsarbeiten bis zur Feststellung, dass die Anlage keine radiologische Gefahrenquelle mehr darstellt (nuklearer Rückbau). Der konventionelle Rückbau des KKM wird zu einem späteren Zeitpunkt Gegenstand eines weiteren Verfahrens sein. Das Kernenergiegesetz ist seit 2005 in Kraft. Darin wird die Stilllegung geregelt: Die Kernkraftwerk-Betreiber müssen dafür ein Stilllegungsprojekt erstellen und beim BFE einreichen. Das BFE führt daraufhin als verfahrensleitende Behörde unter Einbezug der Fachbehörden des Bundes sowie der betroffenen Kantone das Stilllegungsverfahren durch. Zu Beginn des Verfahrens wird das Stilllegungsprojekt öffentlich aufgelegt. Während der öffentlichen Auflage können die von der Stilllegung betroffenen Personen dagegen Einsprache erheben. Das BFE bereitet im weiteren Verlauf des Verfahrens zuhanden des UVEK eine Stilllegungsverfügung vor, in der die Stilllegung angeordnet wird.
Das Kernenergiegesetz (KEG) geht von einer lückenlosen Abfolge dieser Bewilligungen aus. Die Stilllegungsarbeiten werden vom ENSI überwacht. Die ENSI-Fachleute verfolgen seit langem die weltweiten Stilllegungsprojekte, die Fortschritte bei den Rückbautechniken und die Entwicklungen bei Genehmigungs- und Stilllegungsverfahren. Das ENSI tauscht sich dazu auch regelmässig mit Experten anderer Länder aus. Die ENSI-Fachleute begutachten die Planungen der Betreiber von Kernanlagen, beaufsichtigen den Rückbau vor Ort und koordinieren den Einbezug verschiedener weiterer Behörden, etwa im Bereich des konventionellen Umwelt- und Arbeitsschutzes.
Wieviel Abfälle fallen beim Rückbau an und was geschieht damit? Das KKM umfasst rund 200'000 Tonnen Bausubstanz. Davon sind etwa 2% oder rund 4'000 Tonnen radioaktive Abfälle. Weniger als 100 Tonnen davon sind hochradioaktive Abfälle. Beim Rückbau können Bauteile, die nur oberflächlich radioaktiv kontaminiert sind, gereinigt werden. Dies geschieht vorwiegend in der Materialbehandlung im Maschinenhaus. Nach der Dekontamination und der Freimessung können diese Bauteile konventionell entsorgt werden. Geringfügig aktivierte Materialien werden zum Abklingen der Radioaktivität für maximal 30 Jahre in einem Abklinglager gelagert. Aufgrund der sehr niedrigen radioaktiven Belastung der Materialien stellen solche Abklinglager ein sehr geringes Gefährdungspotenzial für Mensch und Umwelt dar. Mit der derzeit laufenden Revision der Kernenergieverordnung werden die nötigen gesetzlichen Grundlagen für die Bewilligung zur Errichtung und den Betrieb von Abklinglagern an geeigneten Standorten ausserhalb von Kernanlagen geschaffen. Radioaktive Abfälle entstehen nicht nur in Kernkraftwerken, sondern auch in Medizin, Industrie und Forschung. Man unterscheidet zwischen hochradioaktiven Abfällen (HAA) sowie schwach- und mittelradioaktiven Abfällen (SMA). Zusammen ergeben sie ein Volumen von etwa 100'000 Kubikmetern. 90% davon sind SMA. Das Kernenergiegesetz schreibt vor, dass in der Schweiz entstandene radioaktive Abfälle grundsätzlich in der Schweiz entsorgt werden müssen. Es gilt das Verursacherprinzip. Das heisst, dass die Verursacher der radioaktiven Abfälle auch für deren sichere Entsorgung verantwortlich sind. Die Schritte zur Entsorgung der radioaktiven Abfälle und zur Standortsuche sind im Sachplan geologische Tiefenlager festgelegt. Oberste Priorität hat dabei der Schutz von Mensch und Umwelt. Derzeit läuft die Suche nach geeigneten Standorten für geologische Tiefenlager in der Schweiz. Ende 2018 wird die zweite Etappe der Standortsuche abgeschlossen und es beginnt die letzte Etappe, in der die Standorte festgelegt werden und von der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) die Rahmenbewilligungsgesuche für ein SMA-Lager und für ein HAA-Lager bzw. ein Kombilager eingereicht werden. Nach der Überprüfung der Rahmenbewilligungsgesuche durch die Behörden entscheiden der Bundesrat und das Parlament Ende der 2020er bzw. Anfang der 2030er Jahre über deren Genehmigung. Der Entscheid des Parlaments untersteht dem fakultativen Referendum. Das KKM versorgt heute den Grossraum Bern und Teile der Nordwestschweiz. Die Versorgungssicherheit des Versorgungsgebiets der BKW und der restlichen Schweiz ist auch nach der endgültigen Einstellung des Leistungsbetriebs des KKM gewährleistet. Das zeigt unter anderem eine im Auftrag des BFE durchgeführte Studie von 20172. Sie zeigt, dass die Stromversorgung der Schweiz bis 2035 trotz schrittweiser Abschaltung der Kernkraftwerke gesichert ist, wenn unser Land optimal in den europäischen Strommarkt integriert ist, die Energieeffizienz gesteigert wird und der Anteil an erneuerbaren Energien wächst. Die Studie betrachtet nicht nur die Stromerzeugung, sondern auch die Transport-, die Verteil- und die Transformationskapazitäten sowie den Verbrauch, also das gesamte System. Ein Leistungsproblem besteht in der Schweiz nicht: Insgesamt sind in unserem Land Kraftwerkskapazitäten mit einer Leistung von rund 20'000 Megawatt installiert, die maximale Last (d. h. der maximale Landesverbrauch) beträgt aber nur rund 10'000 Megawatt. Auch bei der Abschaltung des KKM gibt es also genügend Leistungsreserven. Das BFE erarbeitet derzeit eine Revision des Stromversorgungsgesetzes, in der das Strommarktdesign im Zusammenhang mit der künftigen Versorgungssicherheit und den Zielen der Energiestrategie 2050 definiert werden soll. Die Vorlage wird gegen Ende 2018 in die Vernehmlassung geschickt. Nach der Stilllegung des KKM fallen 373 Megawatt elektrische Leistung weg. Diese werden vom KKM heute auf die 220 Kilovolt (kV) Spannungsebene einspeist. Die wegfallende Stromproduktion kann durch Strom aus anderen Landesgegenden und durch Importe kompensiert werden. Dieser Strom muss jedoch von der 380 kV Spannungsebene auf 220 kV transformiert werden. Die für den Betrieb des Schweizer Übertragungsnetzes verantwortliche nationale Netzgesellschaft Swissgrid hat für die Versorgungssicherheit der Schweiz das «Strategische Netz 2025» entwickelt. Darin ist auch eine Verstärkung der Netzinfrastruktur vorgesehen. Teil des «Strategischen Netzes 2025» sind auch das Leitungsprojekt Bassecourt-Mühleberg, bei dem die Spannung von heute 220 kV auf 380 kV erhöht wird, sowie der Bau eines neuen Transformators in Mühleberg für die Umwandlung des Stroms auf die tiefere Spannungsebene. Das Kernenergiegesetz verpflichtet die Betreiber der Kernkraftwerke für deren Stilllegung und die Entsorgung der radioaktiven Abfälle aufzukommen. Die Betreiber zahlen diese Kosten direkt und können sie anschliessend aus dem Stilllegungsfonds und dem Entsorgungsfonds zurückfordern. In diese Fonds zahlen die Betreiber jährlich Beiträge, welche auf Basis einer umfassenden Schätzung der Stilllegungs- und Entsorgungskosten (Kostenstudien) alle fünf Jahre neu berechnet werden. Dies ist in der Stilllegungs- und Entsorgungsfondsverordnung (SEFV) geregelt. Dabei werden jeweils auch die Kosten für die Nachbetriebsphase neu geschätzt, welche die Kernkraftwerke ebenfalls direkt bezahlen und für die sie zusätzliche Rückstellungen bilden. Zahlen zu den Entsorgungskosten und zum Entsorgungsfonds sind auf der Internetseite der Verwaltungskommission des Stilllegungs- und Entsorgungsfonds (STENFO) verfügbar. Die BKW wird die Fondsbeiträge für die Stilllegung und Entsorgung für das KKM bis zum Ende des Geschäftsjahres 2022 weiter einbezahlen.
|