Bildungsforschung Schweiz
|
 |
Fremdsprachenunterricht
in Zentralschweizer Primarschulen |
 |
 |
Bildungsforschung Schweiz |
 |
 |
Bildung Schweiz Weitere Informationen |
|
Frühenglisch
führt zu besseren Französischkenntnissen |
 |
Primarschulkinder
werden mit zwei Fremdsprachen nicht überfordert. Sie profitieren im
Gegenteil beim Erlernen der zweiten Fremdsprache von der ersten: Wer zuvor
Englisch gelernt hat, lernt besser Französisch. Auch mehrsprachig
aufwachsende Kinder sind beim Französischlernen im Vorteil. Zu diesem
Schluss kommt eine im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms "Sprachenvielfalt
und Sprachkompetenz in der Schweiz" (NFP 56) durchgeführte Pionierstudie
in der Zentralschweiz.
Die
Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren hat 2004 beschlossen,
dass Primarschulkinder zwei Fremdsprachen lernen sollen, eine Landessprache
sowie Englisch oder eine weitere Landessprache. In der Zentralschweiz wurde
daraufhin das Modell 3/5 eingeführt, das Englisch - das so genannte
Frühenglisch - ab der dritten und Französisch ab der fünften
Klasse vorsieht; bis anhin lernten die Kinder mit Französisch nur
eine Fremdsprache. Ein Forschungsteam der Pädagogischen Hochschule
Zentralschweiz in Luzern, das von der Erziehungswissenschaftlerin Andrea
Haenni Hoti geleitet wird, hat das neue Modell nun im Rahmen des Nationalen
Forschungsprogramms "Sprachenvielfalt und Sprachkompetenz in der Schweiz"
(NFP 56) untersucht.
Kein
Plädoyer für das Frühenglisch
Die
gross angelegte Längsschnittstudie zum Tertiärsprachenerwerb
bei Kindern ist die erste dieser Art in der Schweiz sowie im deutschen
Sprachraum. Sie zeigt, dass das neue Modell mit Englisch und Französisch
wirksamer ist als das alte Modell und keine negativen Folgen für das
Wohlbefinden und die Motivation der Kinder im Unterricht hat: Die Kompetenzen
in der ersten Fremdsprache Englisch haben einen positiven Einfluss auf
das Erlernen der zweiten Fremdsprache Französisch. Wer also zuerst
Englisch gelernt hat, lernt danach besser Französisch. Aus diesem
Ergebnis lässt sich kein Plädoyer für das Frühenglisch
ableiten: "Die umgekehrte Sprachenfolge, also Französisch vor Englisch,
könnte zu ähnlich positiven Effekten führen", sagt Andrea
Haenni Hoti.
Vorhandene
Sprachkenntnisse als wichtige Ressource
Für
die Pionierstudie hat das Forschungsteam von 2005 bis 2008 in den Kantonen
Obwalden, Zug und Schwyz insgesamt 30 Primarschulklassen untersucht, die
nach dem Modell 3/5 unterrichtet wurden. Die Kontrollgruppe bildeten 20
Luzerner Schulklassen, die noch dem alten Modell folgten. Dieses quasiexperimentelle
Vorgehen war möglich, weil der Kanton Luzern die Schulreform später
umgesetzt hat als die anderen Kantone der Stichprobe. Untersucht wurden
Hörverständnis, Leseverständnis und mündliche Interaktion
in den Fremdsprachen sowie das Leseverständnis in Deutsch. Ergänzend
führten die Forschenden eine Lehrer- und Schülerbefragung durch.
Die
Ergebnisse zeigen, dass bereits vorhandene Sprachkenntnisse im Fremdsprachenunterricht
nützlich sind. Ein gutes Leseverständnis in Deutsch hilft sowohl
beim Englisch- als auch beim Französischlernen. Kinder, die zu Hause
mehr als eine Sprache sprechen, und zwar auch andere als Französisch
oder Englisch, profitieren vor allem im Französisch-Hören von
ihren zusätzlichen Vorkenntnissen. Die Forschenden schliessen daraus,
dass neben Deutsch und Englisch auch Migrationssprachen wie Albanisch,
Portugiesisch, Serbisch oder Kroatisch für das Erlernen von Französisch
eine wichtige Ressource darstellen.
Kein
negativer Einfluss auf die Motivation
Der
Englischunterricht hat keinen negativen Einfluss auf die Motivation der
Kinder, Französisch zu lernen, allerdings auch keinen positiven. Diese
hängt von anderen Faktoren ab. Je besser die Lernenden ihre Französischkompetenz
einschätzen, desto motivierter sind sie im Unterricht. Mädchen
sind motivierter als Jungen, Französisch zu lernen. Auch Kinder, die
mehrsprachig aufwachsen, sind im Französisch motivierter als Kinder,
die einsprachig mit Schweizerdeutsch aufwachsen.
Die
grosse Mehrheit der Schülerinnen und Schüler hat Freude am Fremdsprachenunterricht,
allerdings mehr am Englischen als am Französischen. Manche Kinder
fühlen sich aber auch über- oder unterfordert: Die Anzahl der
überforderten ist in beiden Fächern gleich: Rund jedes vierte
Kind fühlt sich oft gestresst und hat Angst vor Fehlern. Aber: Das
Gefühl, im Französischunterricht überfordert zu sein, hängt
nicht davon ab, ob das betreffende Kind bereits Englisch lernt. Während
sich jeder Vierte im Englischunterricht unterfordert fühlt, ist es
im Französischunterricht etwa jeder Sechste.
Der
Leistungsvielfalt mehr Beachtung schenken
Das
Forschungsteam empfiehlt, die sprachlichen Vorkenntnisse der Kinder beim
Lernen weiterer Sprachen in der Schule stärker zu berücksichtigen
und Synergien zwischen den verschiedenen Sprachfächern besser zu nutzen.
Zudem sollte der in einer Schulklasse vorhandenen Leistungsvielfalt, die
bereits vor der Schulreform bestand, mehr Beachtung geschenkt werden, um
über- und Unterforderungen entgegenzuwirken. Hilfreich sind dazu Unterrichtsmethoden
der Individualisierung und Differenzierung. Eine Zusatzstudie untersucht
gegenwärtig, ob die Bildungsziele in den Fremdsprachen am Ende der
Primarschulzeit erreicht werden und ob das Lernen von zwei Fremdsprachen
einen Einfluss auf die Deutschkompetenz der Kinder hat.
Den
Schlussbericht der Studie "Frühenglisch - überforderung oder
Chance? Eine Längsschnittstudie zur Wirksamkeit des Fremdsprachenunterrichts
auf der Primarstufe" sowie die Medienmitteilung finden Sie auf der Website
des NFP 56 unter Schwerpunkt Sprache und Schule.
|