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Rückblick in die Schweizer Geschichte

Landesstreik 1918

Rede von Bundespräsident Alain Berset anlässlich der Vernissage der Ausstellung über den «Landesstreik 1918» im Landesmuseum Zürich

Der Landesstreik ist das dramatischste Ereignis in der Geschichte des Schweizer Bundesstaates nach dem Sonderbundskrieg von 1847: 250'000 Menschen legten ihre Arbeit nieder, die Schweiz stand drei Tage lang still. Die Armee wurde eingesetzt; drei Demonstranten wurden nach dem Abbruch des Landesstreiks in Grenchen erschossen.

Der Landesstreik war eine Stunde der Wahrheit für die Schweizer Demokratie: Die Kluft war gross zwischen den legitimen Forderungen - wie dem Frauenstimmrecht oder einer AHV - und der politischen Reaktion, bis hin zum Einsatz der Armee. Gross waren auch die sozialen Missstände, auch wenn sich die Situation seit dem Sommer 1918 auf tiefem Niveau stabilisiert hatte; in breiten Schichten der Bevölkerung herrschte eine materielle Not, die hierzulande heute kaum mehr vorstellbar ist. Am Ende des Krieges waren rund 700'000 Menschen von der eidgenössischen "Notstandsaktion" abhängig - von verbilligten Nahrungsmittel, aber auch Kleidung, Kohle oder Petrol. Immer mehr Menschen war es nicht mehr möglich, aus eigener Kraft ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

Der Landesstreik bewegt uns bis heute, weil die Schweiz damals Gefahr lief, das zu verlieren, was sie seit 1848 und bis heute auszeichnet: Ihre gesellschaftliche und politische Stabilität inmitten eines Kontinents, der heute eine Friedensinsel ist, der aber über Jahrhunderte Schauplatz gewaltiger Konflikte und schrecklicher Verwüstungen war.

Der Landesstreik war ein historischer Test für die Schweiz: Für ihre politische Kultur. Für ihr Selbstverständnis. Für ihre demokratischen Werte und Prozesse.

Einige der Forderungen der Demonstranten wurden nach dem Abbruch des Streiks schnell umgesetzt, so die 48-Stunden-Woche und das Proporzwahlrecht. Beim Frauenstimmrecht lässt sich jedoch nur eine grosse demokratiepolitische Verspätung konstatieren. Bis 1971 blieb die Hälfte der Bevölkerung bekanntlich von unserer Demokratie ausgeschlossen.Wenn wir heute über Lohngleichheit sprechen, dann lohnt es sich vielleicht, sich zu vergegenwärtigen, dass auch in unserer Vergangenheit eigentlich völlig Selbstverständliches nicht immer selbstverständlich
war, sondern mühsam erstritten werden musste.

Der Landesstreik steht nicht nur für das Programm des sozialen Fortschritts, sondern auch des politischen Fortschritts - also der Inklusion immer weiterer Bevölkerungskreise in unsere demokratische Kultur. Er lässt sich auch heute noch als Mahnung verstehen, die politische Realität unseres Landes mit dessen demokratischen Idealen in Übereinstimmung zu bringen.

Der Landesstreik war auch ein Aufbegehren jener Kreise der Bevölkerung, denen demokratische Teilhabe zwar immer wieder versprochen, aber allzu lange vorenthalten worden war. Dieses Engagement für mehr Partizipation und soziale Gerechtigkeit wurde denn auch nach 1918 unvermindert weitergeführt.

Diese dramatischen drei Tage gingen politisch schliesslich gut aus, aber man erhält einen Eindruck davon, wie es mit diesem Land hätte schiefgehen können. Wer weiss, welche Wendung die Schweizer Geschichte genommen hätte, wenn das Oltener Aktionskomitee den Streik nicht abgebrochen hätte... Jedenfalls zeugte dieser Abbruchentscheid nicht nur von der Angst einer Gewalteskalation, sondern auch von Verantwortungsgefühl.

Seit dem Landesstreik wissen wir, wie eine kompromisslose Schweiz aussieht. Und eine solche Schweiz hat mit dem Land, das wir alle schätzen, wenig zu tun. Es braucht - auch heute noch - den Willen zum Kompromiss. Sonst spitzen sich auch in der Schweiz die Konflikte in, nun ja: unschweizerischem Masse zu. Wir sind eine Kompromissnation - oder wir sind keine Nation.

Dans notre démocratie, les problèmes se retrouvent très vite au milieu du débat politique. Et une fois qu'ils sont identifiés, il faut les nommer, puis les désamorcer, avant qu'ils ne s'amplifient et ne se mettent à nourrir des rancœurs. La grève générale nous rappelle que ce mécanisme d'alerte ne va pas de soi. Qu'il nous faut de la volonté - et notamment la volonté de partager le pouvoir de façon démocratique - et de l'empathie pour les gens, en particulier pour les personnes socialement défavorisées.

En 1918, le Conseil fédéral et l'armée ont vu dans les revendications des grévistes - participation démocratique accrue, davantage de sécurité sociale et répartition plus équitable des richesses - les symptômes d'une déferlante révolutionnaire.

Il faut reconnaître que la crainte des autorités n'était pas entièrement infondée. Un an auparavant, la révolution russe avait ébranlé le monde entier. Et deux événements retentissants s'étaient produits tout récemment dans les pays voisins. Le 9 novembre 1918, soit 3 jours plus tôt, l'empereur allemand Guillaume II abdiquait; et le 11 novembre, soit à la veille de la grève générale, l'empereur autrichien Charles Ier renonçait au trône, ce qui sonnait le glas du royaume des Habsbourg.

Et donc, pour comprendre la grève générale de novembre 1918 et les réactions qu‘elle génèrent, il faut tenir compte de ces événements qui secouaient alors toute l'Europe. Car cette grève, tout comme celles de moindre ampleur qui l'ont précédée et suivie, s'inscrivait dans un contexte de crise bien plus large. Elle exprimait les attentes politiques et sociales qui dominaient un peu partout au lendemain de la Première Guerre mondiale.

Viele Forderungen der Streikenden gehören heute zum allgemein akzeptierten Wertekanon der Schweiz. Die Schweiz wurde dadurch erst zur Schweiz, wie wir sie heute kennen und schätzen: Zu einem Land, in dem alle - und nicht nur Privilegierte - gute Lebenschancen haben und sich politisch einbringen können.

Es ist auch heute nötig, genau hinzuschauen auf die sozialen Verhältnisse - und auch bei uns verbreitete Unsicherheit nicht als unvermeidliches Nebenprodukt des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts ad acta zu legen. Oder die Frage der Verteilgerechtigkeit als sozialromantisches Lamento abzutun.

Nehmen wir die Digitalisierung, die unseren Arbeitsmarkt gegenwärtig tiefgreifend verändert. Zwar trifft durchaus zu, dass diese grosse Transformation gewaltige Chancen birgt, so das Ende zahlreicher repetitiver Tätigkeiten und somit eine potentiell kreativere Arbeitswelt. Wahr ist auch, dass Technologieschübe langfristig zu mehr, nicht zu weniger Jobs geführt haben.

Trotzdem aber führt die häufig bemühte - und etwas bequeme - Analogie mit der ersten industriellen Revolution in die Irre. Denn Europa durchlitt im Zuge der Industrialisierung auch Jahrzehnte des Pauperismus und der sozialen Zerrüttung. Phänomene, die auch in der Schweiz bis weit ins 20. Jahrhundert verbreitet waren. Das gilt es unbedingt zu verhindern.

Wir dürfen - gerade heute, wo die Wirtschaft brummt - nicht verdrängen, was wir in anderen Ländern schon seit geraumer Zeit beobachten. Dass die Digitalisierung nicht nur zu mehr Effizienz und grösserer Kundenfreundlichkeit führt, sondern dass sich für die Selbstständigen - oder eben häufig de facto Scheinselbstständigen - existentielle Fragen stellen, auf die wir als Gesellschaft gute Antworten finden müssen.

Wir müssen sicherstellen, dass die Lebensrisiken wie Krankheit und Unfall nicht einfach auf dem Individuum lasten, wie dies vor der Entstehung des Sozialstaates der Fall war. Und dass auch unter Bedingungen einer hoch flexiblen Digitalwirtschaft stabile Erwerbsbiographien möglich bleiben; ebenso wie eine vernünftige Familienplanung und finanziell gesunde Sozialversicherungen

Alle Akteure sind gefragt - Politik, Wirtschaft, Wissenschaft - damit Regulierung gelingen, die einerseits innovationsfreundlich sind, anderseits aber die Beschäftigten vor Prekarisierung schützen.

Auch die Freelancerin braucht eine sichere Altersvorsorge, auch der Microjobber braucht eine Arbeitslosenversicherung. Auch im Zeitalter von Uber ist ein funktionierender Sozialstaat alles andere als Uber-flüssig. Im Gegenteil: Wenn es ihn nicht schon gäbe, müsste man ihn erfinden.

Die Politik der Inklusion ist ohne Alternative, falls die Schweiz Erfolg haben soll im 21. Jahrhundert. Auch wenn heutige Verhältnisse nicht vergleichbar sind mit den häufig erschütternden Zuständen im 19. und frühen 20. Jahrhundert, so darf die gesellschaftliche und politische Stabilität dennoch nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden - wir müssen sie ständig politisch neu erarbeiten.

Haben wir den Mut, die konkreten Lebensumstände der Leute anzuschauen - und erst dann zu urteilen, ob ihre Klagen berechtigt sind. Wie sagte doch während des Landesstreiks Charles Naine, der erste Neuenburger Sozialdemokrat im Nationalrat: «Wir verlangen den Achtstundentag. Man sagt uns: Bolschewiki!» Der Landesstreik ist ein Lehrstück darüber, dass man soziale und politische Forderungen ernst nehmen muss.

1848 hat sich die Schweiz eine Verfassung gegeben und ist in die politische Moderne aufgebrochen. In der Zeit nach 1918 hat sich die Schweiz politisch und sozial erneuert - und wurde so zu einem faireren Land. Das ging und geht bis heute nur mit dem Engagement vieler Menschen - und mit dem Mut zum Kompromiss. Mit dem Willen, die bislang Ausgeschlossenen an der politischen Macht zu beteiligen. Und mit der Erkenntnis, dass die Stärkung der sozial Schwächeren am Ende auch die Stärkeren stärkt.

Der Erfolg der Schweiz ist unteilbar.

Quelle: Text EDI, Generalsekretariat EDI, 3. November 2018
Vom Ersten Weltkrieg (1914-1918) bleibt die Schweiz zwar verschont, doch die kriegsbedingte schlechte soziale Lage breiter Bevölkerungsschichten führt 1918 zum Landesstreik. Viele Forderungen - wie die 48-Stunden-Arbeitswoche, die Einführung einer Altersversicherung und das Frauenstimmrecht - können die Streikenden nicht durchsetzen; doch wird im Folgejahr der Nationalrat erstmals im Proporzwahlverfahren gewählt: Damit ist auch die Arbeiterschaft angemessen darin vertreten. Die Vorherrschaft der Freisinnigen in der Bundesversammlung geht zu Ende
Quelle: der Bund kurz erklärt 2013, Bundeskanzlei
In einer Zeit derwirtschaftlichen und sozialen Krise, die ihren Höhepunkt im November 1918 mit dem Ausbruch des Landesstreiks erreicht, bezeichnet der vorherrschende Diskurs in der Schweiz diese ausländischen Einflüsse als unerwünscht.

Am 20. August 1914 äussert Ernest Bovet - ein Westschweizer, der an der ETH Zürich lehrt- sein Entsetzen über die «Kluft» zwischen einer deutschsprachigen Schweiz, welche die Mittelmächte verteidigt, und einer lateinischen Schweiz, welche für die Entente Partei ergreift. Diese Entwicklungen werden in der Presse rasch als «fossé moral», als Graben, bezeichnet.

Mit dem Landesstreik vom November 1918 wird der «fossé moral» symbolisch durch einen «fossé social», einen gesellschaftlichen Graben, ersetzt. Der ‹«fossé moral» bleibt allerdings auch während der Zwischenkriegszeit im Bewusstsein der Menschen bestehen.

Quelle: Auszug aus dem Ausstellungsheft zur Ausstellung «Im Feuer der Propaganda», August 2014

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