Schule Schweiz
Schule und Bildung
Bildung und Armut
letzte Seite
end
Schule und Bildung
Bildung Forschung
Beitrag der Bildung zur Bekämpfung der Armut? 2011
Publikation
weitere Informationen
Bildungsforschung u. Bildungsreformen
Armut verhindern und bekämpfen
Ein Beitrag der Bildung zur Bekämpfung der Armut?
Vortrag von Regierungspräsident Bernhard Pulver, Erziehungsdirektor des Kantons Bern
am 2. Berner Sozialgipfel vom 22. August 2011

"Ich freue mich, den 2. Berner Sozialgipfel zusammen mit Gesundheits- und Fürsorgedirektor Philippe Perrenoud eröffnen zu dürfen. Als ich von ihm dafür angefragt wurde, habe ich - nachdem in meiner Agenda eine Lücke gefunden werden konnte - sofort zugesagt. Dies aus zwei Gründen: Einerseits liegt mir das Thema Armutsbekämpfung ganz persönlich sehr am Herzen. Für Nichtbetroffene ist es nicht einfach, sich vorzustellen, wie es ist: in der reichen Schweiz, im Kanton Bern arm zu sein. Andererseits ist die Armutsbekämpfung eines der Legislaturziele in den Richtlinien der Regierungspolitik. Im letzten Dezember hat der Regierungsrat beschlossen, bis Ende 2012 einen politikbereichsübergreifenden Massnahmenplan zur Reduktion der Armut auszuarbeiten. Diesen Ansatz - die Armutsbekämpfung als Querschnittsaufgabe - unterstütze ich sehr.

Von Armut betroffene Menschen müssen nämlich nicht nur fehlende finanzielle Mittel, sondern auch fehlende Ressourcen in den Bereichen Bildung, Arbeit, Wohnen, Gesundheit und Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben ertragen. Damit wird ihr Handlungsspielraum massiv eingeschränkt. Das ist auch so im 2. Berner Sozialbericht festgehalten. Besonders problematisch ist, dass Armut die Entwicklungschancen von Kindern und Jugendlichen beeinträchtigt und dadurch häufig von einer Generation zur nächsten weitergegeben wird.

Für die Betroffenen braucht es sehr viel Kraft, sich dieser schwierigen Situation zu stellen, darüber zu sprechen und Unterstützung zu holen. Undes braucht sehr viel Mut, den Weg aus dieser Situation zu finden und zu beschreiten. Ich setze mich gerne dafür ein, Armut zu verhindern und zu bekämpfen.

1. Ausgangslage

Der bereits erwähnte politikbereichsübergreifende Ansatz geht der Frage nach, welchen Beitrag Sozial-, Bildungs-, Wirtschafts-, Gesundheits- und Familienpolitik zur Verhinderung und Bekämpfung der Armut zu leisten haben. Als Erziehungsdirektor betone ich gerne, dass die Bildungspolitik bereits heute vieles zur Verhinderung und Bekämpfung der Armut leistet. Alle in Bildungsinstitutionen und deren Umfeld tätigen Menschen tragen ihren persönlichen, ganz wertvollen Teil dazu bei.

Es ist ausserordentlich wichtig, dass die Bildungspolitik und auch die anderen Politikbereiche weiterhin konstant und wo möglich auch verstärkt ihren Beitrag zur Verhinderung und Bekämpfung der Armut leisten. Ich erinnere kurz an die zentralen Erkenntnisse der Caritas-Studie von 2004:

- Bildung ist in unserer Gesellschaft der Armutsindikator schlechthin.
- Eine geringe Bildung ist das Armutsrisiko Nummer eins.
- Das Bildungssystem verfestigt die Zugehörigkeit zu sozial tieferen Schichten.

Diese Erkenntnisse stehen im Widerspruch zur Bundesverfassung, in der das Recht der Bürge-rinnen und Bürger auf eine möglichst grosse Chancengleichheit festgeschrieben ist1. Auch in der Bildungsstrategie des Kantons Bern ist die Chancengleichheit eine der strategischen Leitlinien2. Es besteht - auch sieben Jahre nach Veröffentlichung der Caritas-Studie - Handlungsbedarf, damit alle Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, unabhängig von sozialen, ökonomischen und politischen Faktoren, die gleichen Chancen auf Bildung haben.

1 Art. 2, Abs. 3
2 S. 10
3 SECO-Arbeitsmarktstatistik 2009
4 Medienmitteilung des Kantons Bern, Juli 11

2. Armutsrisiken

Bevor ich eine Auslegeordnung der bildungspolitischen Massnahmen zur Armutsbekämpfung vornehme, möchte ich Ihnen darlegen, welche Armutsrisiken bestehen und wie sich die Chancenungleichheit manifestiert.

2.1 Keine Anschlusslösung nach der obligatorischen Schulzeit

Ohne Anschlusslösung sind Jugendliche und junge Erwachsene von Jugendarbeitslosigkeit betroffen. Da die Leistungen der Arbeitslosenversicherung auf dem Einkommen der letzten sechs Monate basieren, sind die Lebensperspektiven beeinträchtigt, das Armutsrisiko steigt. Der Kanton Bern liegt bei der Arbeitslosenquote der 15- bis 24-jährigen mit rund drei Prozent zwar erfreulicherweise in der hinteren Hälfte der Rangliste der Kantone3, aber jeder Fall von Jugendarbeitslosigkeit ist einer zu viel.

Es gibt verschiedene Gründe, warum keine Anschlusslösung gefunden wird4:

- mangelnde Motivation
- schlechte schulische Leistungen
- mangelhaftes Sozialverhalten
- zu wenig aktives und zu spätes Vorgehen bei der Berufswahl
- Fixierung auf einen (oft zu hoch gesteckten) Berufswunsch
- sprachliche Handicaps
- Migrationshintergrund
- ungenügende Unterstützung durch die Eltern insbesondere bei fremdsprachigen Familien
- hohe Berufsanforderungen
- Lehrstellensituation

Meistens sind mehrere Faktoren die Ursache.

2.2 Keine berufliche Ausbildung

Bei der Abschlussquote auf Sekundarstufe II nimmt der Kanton Bern einen Spitzenplatz ein! 95 Prozent der jungen Erwachsenen haben einen Sek. II-Abschluss. Kümmern müssen wir uns um die fünf Prozent der jungen Erwachsenen, die keine berufliche Grundbildung oder Mittelschule abschliessen. Denn sie haben ein erhöhtes Armuts- und Sozialhilfe-Risiko. In der Schweiz haben über 57 Prozent der Sozialhilfebeziehenden keine berufliche Ausbildung5. Der Kanton Bern steht in Bezug auf die Sozialhilfequote bei den 18- bis 25-jährigen über dem schweizerischen Durchschnitt auf dem fünftletzten Rang6. Diesem beunruhigenden Ergebnis müssen wir nachgehen und ein Augenmerk darauf richten.

5 Statistischer Sozialbericht Schweiz 2011
6 BFS 2007, vertiefte Analyse der Sozialhilfestatistik 2004
7 Sozialbericht 2010, Kanton Bern, S. 98/99
8 BiEv, 2006
9 Berner Sozialbericht 2010, S. 7
10 BFS, 2009
11 PISA, Nationaler Bericht 2007
12 SKBF, Bildungsbericht Schweiz 2010

2.3 Junge Erwachsene in Ausbildung

27 Prozent der jungen Erwachsenen in der Sozialhilfe absolvieren eine nachobligatorische Ausbildung7. Scheinbar reichen die finanzielle Unterstützung der Eltern und allfällige Ausbildungsbeiträge nicht aus. Jugendliche und junge Erwachsene, die nicht auf die Unterstützung der Sozialhilfe angewiesen sein wollen, beginnen gar keine Ausbildung oder brechen eine solche ab.

2.4 Lehrvertragsauflösungen

Aus dem Projekt LEVA8, das sich mit den Ursachen und Konsequenzen von Lehrvertragsauflösungen befasst, wissen wir, dass Lehrberufe mit tiefem Anforderungsniveau eine deutlich höhere Auflösungsquote aufweisen als Lehrberufe mit mittlerem oder hohem Anforderungsniveau. Zudem haben Jugendliche, die direkt aus der Real- oder Sekundarschule in die berufliche Grundbildung eintreten, ein geringes Risiko für eine Vertragsauflösung. Hingegen sind Jugendliche aus einem Brückenangebot und Jugendliche mit einer (abgebrochenen) Ausbildung auf der Sekundarstufe II oder einer Phase der Ausbildungslosigkeit tendenziell häufiger von einer Lehrvertragsauflösung betroffen.

2.5 Erwerbstätige junge Erwachsene

22 Prozent der jungen Erwachsenen in der Sozialhilfe sind erwerbstätig9. Trotz Erwerbstätigkeit kommt die Sozialhilfe in diesen Fällen für die Sicherung des Existenzbedarfs auf.

2.6 Frühe Familiengründung

Auch eine frühe Familiengründung verstärkt das Sozialhilfe-Risiko. Ein Sechstel der unterstützten jungen Erwachsenen hat bereits Kinder, für die sie sorgen müssen10.

Soviel zu den Armutsrisiken. Wie zeigt sich nun die Chancenungleichheit?


3. Anzeichen von Chancenungleichheit

Die PISA-Ergebnisse zeigen, dass in der Schweiz ein starker Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Schulerfolg besteht11. Die folgenden, auf die verschiedenen Bildungsstufen bezogenen Erläuterungen sind grösstenteils dem Bildungsbericht Schweiz 2010-12 entnommen. Diese Schweizerischen Befunde lassen sich natürlich auch auf den Kanton Bern übertragen.

Kindergarten

Grosse Unterschiede in Bezug auf den sozioökonomischen Status, den Bildungshintergrund und die Lebenslagen von Familien führen schon vor dem Eintritt in den Kindergarten zu grossen Unterschieden in den Lernvoraussetzungen und Kompetenzen der Kinder. Zudem haben viele Kinder und Jugendliche ungenügende Kenntnisse der Unterrichtssprache.Massnahmen der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung könnten die Startchancen der Kinder verbessern. Im Bildungsbericht wird vermutet, dass aber gerade sozial benachteiligte Kinder wegen des Mangels an entsprechenden Angeboten und relativ hoher Elternbeiträge nur beschränkten Zugang zu solchen Einrichtungen haben.

Primarstufe


Im Rahmen des Übertrittsverfahrens im 6. Schuljahr werden die Kinder entsprechend ihren Fähigkeiten und ihrer mutmasslichen Entwicklung demjenigen Schultyp zugewiesen, in denen sie am besten gefördert werden können13. In den einzelnen Schultypen deuten aber grosse Überlappungen der Leistungen darauf hin, dass der Übertrittsentscheid nicht nur aufgrund der Leistungen der Schülerinnen und Schüler gefällt wird. Für die Chancengleichheit ist dies ein Problem, da die Selektion am Ende der Primarstufe einen grossen Einfluss auf die späteren Bildungs- und Arbeitsmarktchancen hat.

13 Informationen für Eltern ERZ 2008
14 Medienmitteilung des Kantons Bern, Juli 2011

Sekundarstufe I

Das Erfreuliche zuerst: die Bildungschancen von Migrantinnen und Migranten verbessern sich deutlich von der ersten zur zweiten Generation. Und die Ergebnisse von PISA 2009 zeigen, dass sich die Leseleistungen der Jugendlichen mit Migrationshintergrund in den letzten neun Jahren statistisch signifikant verbessert haben. Häufig kumulieren sich aber auf der Sekundarstufe I zwei negative Faktoren für die schulischen Leistungen:

Schülerinnen und Schüler ...

- mit Migrationshintergrund und
- aus Familien mit sozioökonomisch tiefem Status.

Diese Schülerinnen und Schüler erbringen im Durchschnitt tiefere Leistungen.

Und mit diesen tieferen Leistungen haben Jugendliche ausländischer Herkunft beim Direkteinstieg in eine berufliche Grundbildung eine tiefe Übertrittsquote von 30 Prozent. Bei Realschülerinnen und -schülern beträgt diese Quote 46 Prozent, bei Sekundarschülerinnen und-schülern 61 Prozent14.

Sekundarstufe II

Berufliche Grundbildung

Absolventinnen und Absolventen von Lehren mit niedrigem Anspruchsniveau haben das grössere Risiko

- nach der Lehre keine Stelle zu finden oder
- eine Stelle anzutreten, für die die absolvierte Lehre nicht Bedingung ist.

Gymnasium

Anhand der PISA-Daten 2006 lässt sich sagen, dass Schülerinnen und Schüler aus privilegierten Familien überproportional an Gymnasien vertreten sind. 28 Prozent der Schülerinnen und Schüler aus sozioökonomisch benachteiligten Familien mit sehr hohen Mathematik-Leistungen gehen an ein Gymnasium, bei Schülerinnen und Schülern aus privilegierten Verhältnissen sind es 68 Prozent.

Tertiärstufe

Nach wie vor haben Kinder aus Akademikerfamilien in der Schweiz und in ganz Europa in Bezug auf Hochschulabschlüsse bessere Bildungschancen. Positiv zu erwähnen ist, dass sich der Einfluss der sozialen Herkunft auf die Wahrscheinlichkeit eines akademischen Abschlusses in den letzten 30 Jahren etwas verringert hat. Immerhin.

Universitäre Hochschulen

Eine 2.6-mal höhere Chance auf einen Hochschulbesuch weisen Jugendliche auf, deren Väter über einen universitären Hochschulabschluss verfügen.

Fachhochschulen

Nur knapp ein Viertel der Studierenden an Fachhochschulen stammt aus Familien, in denen mindestens ein Elternteil über einen Hochschulabschluss verfügt. Bei den universitären Hochschulen ist es fast die Hälfte der Studierenden. Somit ermöglichen Fachhochschulen jungen Erwachsenen aus weniger privilegierten Schichten häufiger einen Tertiärabschluss als Universitäten.

Pädagogische Hochschulen

Interessanterweise wird im Bildungsbericht festgehalten, dass Maturandinnen und Maturanden, die einen PH-Studiengang anstreben, vornehmlich aus nicht-akademischem Elternhaus stammen. Gleichzeitig ist der Anteil an PH-Studierenden mit Migrationshintergrund noch geringer als an den anderen Hochschulen.

Diese Anzeichen von Chancenungleichheit, die ich Ihnen nun präsentiert habe, müssen nicht in jedem Fall auf eine Diskriminierung von benachteiligten Jugendlichen und jungen Erwachsenen hinweisen. Auf allen Bildungsstufen spielen persönliche Neigungen, Einstellungen und Erwartungshaltungen - auch der Eltern - eine ganz zentrale Rolle.

4. Auslegeordnung der bildungspolitischen Massnahmen

Die Bildungsstrategie des Kantons Bern gibt eine Übersicht über die Ziele und Massnahmen in der Bildungspolitik. Die Ziele werden mit den strategischen Leitlinien definiert. Einige dieser Leitlinien dienen der Verhinderung und Bekämpfung der Armut, wie die bereits erwähnte Chancengleichheit:

Wir gehen von der Gleichwertigkeit der verschiedenen Bildungsgänge aus. Aufbauend auf seinen Fähigkeiten und Voraussetzungen soll jeder Mensch gefördert und ausgebildet werden. Unter Gleichstellung verstehen wir unter anderem, ein geschlechtergerechtes Ausbildungsangebot und stereotypenfreie Laufbahnentscheide. Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene brauchen die Unterstützung der Familie. Bildungs- und Familienpolitik sind aufeinander abzustimmen.

Im Rahmen des lebensbegleitenden Lernens fördern wir Weiterbildungen und Zusatzqualifikationen für alle Einwohnerinnen und Einwohner. Zudem wollen wir das Vertrauen in das Bildungssystem und seine Akteure weiter stärken und auch das Selbstvertrauen der Menschen fördern.

Um dem Anspruch der Chancengleichheit näher zu kommen und die vorher beschriebenen Armutsrisiken zu minimieren, sind zahlreiche Massnahmen in Umsetzung oder in Planung. Jede Massnahme folgt mindestens einer dieser strategischen Leitlinien.

Ich möchte nun eine Auslegeordnung dieser bildungspolitischen Massnahmen vornehmen.

4.1 Kindergarten und Volksschule

Gemäss HarmoS ist der Besuch des zweijährigen Kindergartens für alle Kinder ab dem fünften Lebensjahr obligatorisch.

Im Rahmen der Teilrevision des Volksschulgesetzes (REVOS 2008) wurden die Tagesschulen ausgebaut. Mittlerweile gibt es in ca. 150 Gemeinden Tagesschulangebote, die die Chancengleichheit der Schülerinnen und Schüler erhöhen und zugleich auch Familien unterstützen. Damit wird auch das Armutsrisiko "Familie" verkleinert.

Mit Sprachförderung im Kindergarten (Deutsch und Französisch als Zweitsprache) wird die Integration von fremdsprachigen Kindern gefördert.

Unterricht in heimatlicher Sprache und Kultur (HSK) für Kinder mit Migrationshintergrund: bessere Kompetenzen in der Erstsprache erleichtern das Lernen der Zweitsprache.

Der Spezialunterricht unterstützt und begleitet Kinder und Jugendliche mit besonderem Bildungs- und Entwicklungsbedarf in schulischen und sozialen Lernprozessen. Er ermöglicht ihnen so, in der Regelkasse zu verbleiben.

Die Berufswahlvorbereitung ist ein verbindlicher Auftrag der Schulen der Sekundarstufe I. Die Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung unterstützt die Schulen dabei, unter anderem auch durch ein Coaching der Oberstufenlehrpersonen.

Die drei letzten Jahre der obligatorischen Volksschule sollen so ausgestaltet sein, dass sie der individuellen und ganzheitlichen Förderung dienen. Im Rahmen des Projekts "Optimierung Sekundarstufe I" wird das Übertrittsverfahren in die Sekundarstufe I optimiert und das Realniveau gestärkt.

Dank dem Programm Bildung und Kultur, das mit dem neuen Schuljahr begonnen hat, werden Kinder und Jugendliche selbst kulturell aktiv, gewinnen dabei Vertrauen in ihre Fähigkeiten und fassen Mut, sich zu exponieren. Kurz: sie betreiben Persönlichkeitsbildung.

Dank praxisnahen, subventionierten Angeboten in den BereichenSuchtprävention, Gesundheitsförderung, Früherkennung/-intervention und Beratung, erhalten Lehrpersonen im Kanton Bern Unterstützung bei der Umsetzung von Gesundheitsförderung und Suchtprävention im Schulalltag.

Die Schulsozialarbeit bietet vor Ort Hilfe und Beratung. Sie unterstützt die Schule dabei, soziale Probleme, die den Schulerfolg gefährden, früh zu erkennen und die notwendigen Massnahmen einzuleiten. Die Schulsozialarbeit ist im Kanton Bern in 25 Gemeinden aufgebaut und in 23 Gemeinden geplant.

Integration gemäss Art. 17 Volksschulgesetz:

Schülerinnen und Schüler, deren schulische Ausbildung durch Störungen, Behinderungen oder durch Probleme bei der sprachlichen und kulturellen Integration erschwert wird, soll in der Regel der Besuch der ordentlichen Bildungsgänge ermöglicht werden. Durch den Abschluss der obligatorischen Schule in einer Regelklasse fällt diesen Schülerinnen und Schülern der Übertritt in eine Berufsausbildung oder eine weiterführende Schule leichter.

Noch dieses Jahr wird der Bernische Grosse Rat über die freiwillige Einführung der Basisstufe entscheiden. Da die Kinder nach ihrem individuellen Entwicklungs- und Lernstand gefördert werden und ihre eigenen Lernwege in ihrem Tempo gehen können, kann mit der Basisstufe auch die Integration verbessert werden.

4.2 Nahtstelle zur nachobligatorischen Ausbildung

Unsere Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung informiert Jugendliche und junge Erwachsene in den Berufsinformationszentren und macht ihnen spezialisierte Beratungs- und Begleitungsangebote. Durch Beratungsangebote vor Ort wird die Erreichbarkeit von Jugendlichen erhöht.

Das Case Management Berufsbildung richtet sich an Jugendliche und junge Erwachsene mit einer Mehrfachproblematik, deren erfolgreiche Berufslaufbahn bzw. der Einstieg ins Erwerbsleben gefährdet ist. Aufgrund der Ergebnisse der schweizerischen Umsetzungsevaluation15 kann ich sagen, dass der Kanton Bern sowohl beim Aufstarten des Projekts wie auch bezüglich der Weiterentwicklung gut da steht.

15 BBT 2011, Nationales Projekt CM Berufsbildung, Bericht zur Umsetzungsevaluation
16 Ende 2011: Gesamtkonzept ist in den Berufsfachschulen, Gymnasien, Hochschulen und in den Beratungsdiensten umgesetzt.

Brückenangebote dienen je nach Angebot dazu, schulische Lücken zu schliessen, die Berufs-welt von der praktischen Seite her kennen zu lernen oder sich gezielt auf eine berufliche Ausbildung oder eine weiterführende Schule vorzubereiten. Der Kanton Bern hat aber im interkantonalen Vergleich eine überdurchschnittlich hohe Übertrittsquote in die Brückenangebote. Deshalb wollen wir diese Übertrittsquote in den nächsten Jahren senken und gleichzeitig den direkten Einstieg in eine qualifizierende Ausbildung fördern.

Im Rahmen des Projekts "Lehrstellenmarketing" wurde bis Ende 2010 unter anderem die Offensive zur Schaffung von zusätzlichen Lehrstellen in der zweijährigen Grundausbildung mit eidgenössischem Berufsattest (EBA) weitergeführt. 2010 konnten knapp 600 neue EBA-Lehrverträge abgeschlossen werden.

Die Vergabe von Ausbildungsbeiträgen - Stipendien und Darlehen - ist ebenfalls ein bildungspolitisches Instrument zur Verbesserung der Chancengleichheit.

4.3 Nahtstelle in die Arbeitswelt und Erwachsenenbildung

Im Rahmen des Projekts "Laufbahnplanung am Übergang II" werdenSchülerinnen und Schüler sowie Studierende schon während der Ausbildung auf den Übergang in die Arbeitswelt vorbereitet und dafür sensibilisiert, die Laufbahnplanung zu überprüfen, bestehende Optionen kennen zu lernen und für sich gezielter nutzen zu können16.

Die Erziehungsdirektion unterstützt Bildungsangebote für benachteiligte Zielgruppen zu gesellschaftlich relevanten Themen, wie zum Beispiel "Lesen und Schreiben für Erwachsene" und "Angebote für Migrantinnen und Migranten".

Erwachsene, welche einen Abschluss auf der Sekundarstufe II verpasst haben, können ihn über die Validierung von Bildungsleistungen in der Berufsbildung nachholen. Im Kanton Bern hat vor kurzem die erste Kandidatin in der Schweiz auf diesem Weg das Fähigkeitszeugnis als Detailhandelsfachfrau erhalten17.

17 Medienmitteilung des Kantons Bern, Juni 2011
18 s. S. 4
19 "Die Zeit", 9. Juni 2011
20 Beispiele: familienergänzende Kinderbetreuung, die Mütter- und Väterberatung, die heilpädagogische Früherziehung, kinderärztliche und kinderpsychiatrische Betreuung, Erziehungsberatung
21 NW EDK-Projekt netzwerk sims (Sprachförderung in mehrsprachigen Schulen), 2004 - 2010
22 Programm "Qualität in multikulturellen Schulen"QUIMS,

Im Projekt "Erwerb von Basisqualifikationen durch Weiterbildung" schliessen Erwachsene ihre Lücken in der Grundausbildung und verbessern damit ihre Arbeitsmarktfähigkeit.

Mit den bisherigen Ausführungen haben Sie einen Input für die am Nachmittag vorgesehene Diskussion von Massnahmen zur Armutsbekämpfung erhalten. Nun folgen noch einige abschliessende Überlegungen und Fragen.

5. Abschliessende Überlegungen und Fragen

Trotz zahlreicher Massnahmen können wir nicht von Chancengleichheit im Bildungssystem sprechen. Auch ist das Armutsrisiko für manche Jugendlichen und jungen Erwachsenen beträchtlich. Diese Feststellung veranlasst mich zu einigen Überlegungen und Fragen, die hoffentlich am Nachmittag in den Workshops weiterverfolgt werden können.

Wie ich zu Beginn meines Referats im Zusammenhang mit der Caritas-Studie festgestellt habe, besteht allgemeiner Handlungsbedarf18. Ich orte aber auch spezifischen Handlungsbedarf ...

- bei der Erreichbarkeit von gefährdeten Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen und ...
- bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die mehrfach benachteiligt sind, denn in diesen Fällen kumulieren sich verschiedene Risikofaktoren.

Aber wie stellen wir sicher, dass gefährdete Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene tatsächlich und auch noch rechtzeitig erreicht werden? Und wie erreichen wir ihre Eltern? Welches sind die zentralen Akteure, die involviert sein müssen?

Mit dem Konzept "Frühe Hilfen" soll in Magdeburg verhindert werden, dass sich Verwahrlosung, Gewalt und Sozialelend von einer Generation auf die nächste vererben19. Familienhebammen begleiten junge Familien weit über die Zeit des Wochenbetts hinaus, oft zwölf Monate lang. Präventive Familienfürsorge wird dieser Ansatz genannt. Gefährdete Kinder und ihre Eltern werden sehr früh erreicht. Für die Hebammen bedeutet dies eine erhebliche Ausweitung ihrer Aufgaben.

Inwiefern sind die im Kanton Bern laufenden Massnahmen im Bereich der Frühförderung 20 Elemente einer präventiven Familienfürsorge?

Jeder vierte junge Erwachsene in der Sozialhilfe ist in Ausbildung. Weshalb reichen die Unterstützung der Eltern und allfällige Ausbildungsbeiträge nicht aus? Werden die jungen Erwachsenen im Kanton Bern zu früh in die Sozialhilfe gedrängt?

Brauchen wir Programme zur Sprachförderung vor dem Eintritt in den Kindergarten? Oder sollte mit spezifischen Massnahmen

- die "Sprachförderung in mehrsprachigen Schulen" verbessert (wie im gleichnamigen Projekt der NW EDK21) oder
- die "Qualität in multikulturellen Schulen" gesichert werden? (wie im gleichnamigen Programm des Kantons Zürich22)

Ich bin überzeugt, dass für mittel- und längerfristige Verbesserungen bei der Verhinderung und Bekämpfung von Armut weitere interdirektionale Anstrengungen zur frühzeitigen Erkennung von gefährdeten Kindern und zur fallbezogenen Unterstützung ausschlaggebend sein werden.

Quelle: Text Kanton Bern, Gesundheits- und Fürsorgedirektion, August 2011
RAOnline Download
Kanton Bern
Quelle: Kanton Bern, Gesundheits- und Fürsorgedirektion
Armut im Kanton Bern kurz erklärt
Zahlen, Fakten und Analysen: Kernaussagen aus dem Sozialbericht 2010
Armut im Kanton Bern kurz erklärt
344 KB PDF Download
Weitere Informationen
Kanton Bern - 2. Berner Sozialgipfel 2011
Armut in der Schweiz
Search RAOnline Suche
top
letzte Seite